Am Sonntag, den 11.07.2021, standen 17 Schülerinnen und Schüler zusammen mit drei Begleitlehrkräften am Bamberger-Bahnhof und warteten auf ihren Zug nach Oberstdorf. Vor ihnen lagen neben An- und Abfahrtstagen sechs reine Wandertage mit einer Gesamtstrecke von 105 km. Auf sie warteten aber vor allem knapp 5200 Höhenmeter im Aufstieg und 5800 Höhenmeter im Abstieg, denn es sollten die Alpen zu Fuß überquert werden, eine Alpenüberquerung von Oberstdorf in Deutschland bis nach Meran in Italien. Die Jugendlichen besuchen alle das Dientzenhofer-Gymnasium und haben das P-Seminar „Alpenüberquerung“ gewählt. Das Projekt-Seminar (P-Seminar) ist allgemein ein Bestandteil der gymnasialen Oberstufe in Bayern, um die Schüler bei ihrer Studien- bzw. Berufswahl zu unterstützen. Neben der Beschäftigung mit möglichen Studiengängen, muss ein Jahr lang ein Projekt gemeinsam mit außerschulischen Partnern umgesetzt werden. Außerschulische Partner, mit denen die Schülerinnen und Schüler Kontakt aufnehmen müssen, gibt es bei einer Alpenüberquerung viele: Deutsche Bahn, Hüttenwirte, Busunternehmen, Taxiunternehmen, Hoteliers, Privatvermieter, Alpenverein und natürlich unser Sportgeschäft vor Ort – Rolands Alpinladen usw..
Zurück zum Bahnhof – da standen sie nun, in ihren Bergstiefeln und dem schweren Rucksack auf dem Rücken. Bereits ohne die 3 Liter Wasser als tägliches Getränk wogen die Rucksäcke bereits zwischen 8 und 12 kg. Wir Begleiter hatten ehrlicherweise fast nicht mehr daran geglaubt, in diesem von Corona bestimmten Schuljahr zu einer Fahrt aufbrechen zu dürfen. Ein detailliert ausgearbeitetes Hygienekonzept mit täglichen Testungen, dem Benutzen von Kleinbussen, mit Privatunterkünften und mit von anderen Gruppen distanzierten Unterbringungen in Hütten sowie weitere Überlegungen, führten zur Erlaubnis, die Alpen zu überqueren. Die meiste Zeit des Tages würden wir ohnehin für uns als Gruppe, von viel frischer Luft umgeben, allein durch die Alpen wandern. Im Rückblick eigentlich die perfekte Lösung, um etwas zu erleben, ohne sich dem Risiko einer Ansteckung auszusetzen. Als Begleitlehrkräfte waren Tobias Reinauer, Thomas Platzöder und Elisabeth Schneider in den Alpen unterwegs.
Im Vorfeld mussten die potenziellen Alpenüberquerer einige Übungsmärsche in unserer fränkischen Heimat absolvieren. Ohne die verschiedenen Lockdowns wären es sicherlich noch mehr gewesen. Als Höhepunkt gab es eine Wanderung mit 950 Höhenmetern in der Umgebung von Scheßlitz. Bergauf, bergab, bergauf, nicht auf dem Grad bleiben, war dabei das Motto. Dabei zeigte sich bei einigen, wie wichtig das Material an den Füßen ist. Nicht passende Wanderschuhe, falsche Socken, unpassende Schnürung – ein weites Feld, bei dem uns Rolands Alpinladen mit Rat und Tat zur Seite stand. Blasenpflaster und Tape bevor die Blasen kommen und andere Tricks hatten wir verinnerlicht. Zusammen mit Treppenläufen und einem alpinen Erste Hilfe Kurs fühlten wir uns zumindest gut vorbereitet.
Für die erste Etappe war im Gegensatz zu den weiteren Tagen sehr gutes Wetter angekündigt. Nach 9 Stunden mit 1030 Höhenmetern aufwärts und 1120 Höhenmetern abwärts war unser erstes Ziel erreicht – Holzgau in Österreich. Die Jugendlichen konnten unterwegs auf der Kemptner-Hütte ihre erste Hüttenmahlzeit einnehmen, bevor einige besonders mutige unter uns unter einem Wasserfall ein Bad nahmen. Bis dahin mussten wir zahllose Wasserläufe, Matschfelder und schon ein Schneefeld überqueren. Dies sollte alles nur ein kleiner Vorgeschmack auf die kommenden Tage sein. Ab Etappe 2 regnete es fast dauerhaft. „Bei gutem Wetter kann jeder wandern“ war ein Spruch, den wir öfters in der Gruppe hörten. Der sehr guten Stimmung tat der Regen nie einen Abbruch, einige schien er zusätzlich zu motivieren.
Auf der zweiten und dritten Etappe hatten sich nun alle Teilnehmer eine sehr hohe Trittsicherheit erworben. Das Überqueren von Flussläufen war nun keiner Rede mehr wert, nasse Steine im Auf- oder Abstieg wurden wie auf einem Gehsteig begangen. Auf der Ansbacher-Hütte gab es eine Einführung in Schafkopf. Ab diesem Abend gehörte das Spiel zum festen Bestandteil des Abendprogramms. Kein Fernseher, kein Radio, meist kein Handyempfang, aber gute Gespräche und immer drei Tische mit Schafkopf. Nach wieder mehr als 1000 Höhenmetern fielen wir alle in die Betten, bzw. in die Schlafsäcke. Die vierte Nacht verbrachten einige von uns in einer mongolischen Jurte, ein mit Pferdehaar ausgekleidetes Zelt. Ein Waschbecken, eine Toilette, mehr gab es dort nicht. Die Jugendlichen hatten sehr schnell ihre häusliche Comfortzone vergessen und merkten, wie wenig man eigentlich benötigt. Etliche unsere ideellen, erhofften Ziele hatten wir Begleiter bereits vollständig erreicht.
An den ersten drei Tagen waren einige unsere Schülerinnen und Schüler bereits an ihre körperliche Grenze geraten, bzw. sie dachten, sie hätten diese bereits überschritten. Ein neues geflügelte Wort machte die Runde: alles Kopfsache. Mann kann fast alles erreichen, wenn man es nur will. Hier waren es die Etappenziele, später im Leben wird es vielleicht der Abschluss des Studiums sein.
Auf der vierten Etappe ging es nun endgültig in die alpine Alpenwelt. Die Braunschweiger Hütte auf 2759 m war das Ziel dieser Etappe. Sie liegt am Ende des Pitztals und ist nur über einen schweißtreibenden Aufstieg zu erreichen. Hinzu kommen etliche Passagen bei denen Felsblöcke und anderen Stufen nur unter Zuhilfenahme der Hände überwunden werden können. Unsere Alpenüberquerer waren trotz der Anstrengung völlig begeistert. Sie wollten nur so wandern – kleine Kletterpassagen, exponierte Wege, oberhalb der Baumgrenze. Völlig zurecht trägt dieser Abschnitt die Bezeichnung Königsetappe. Die Anzahl der Pausen wurde für einige Schülerinnen gerade zum Ende des Aufstieges deutlich größer, aber irgendwann stand sie wie aus dem Nichts vor uns, die im Gletschergebiet gelegene Schlafstätte.
Am nächsten Morgen ging es nun endgültig auf 3000 m hoch. Nach einer kleinen Kletterpassage lagen nun bei 4 Grad Außentemperatur die ausgedehnten Schneefelder vor uns. Hochkonzentriert wurde nun jeder Schritt gesetzt, denn wir wollten nicht auf einem Schneefeld 200 m in einen weiten Auslauf hinabrutschen. Absolute Stille, keiner sagte etwas, denn wir wussten alle um die Schwierigkeit. Am Ende gönnten wir uns sogar eine kleine Rutschpartie von 50 m auf dem Hosenboden. Auch diese heikle und lustige Möglichkeit im Abstieg meisterten die neugeborenen Alpinisten mit Bravour und kämpften sich bei Nieselregen und Nebel auf einem angeblich wunderschönen Panoramaweg in Richtung Bergsteigerdorf Vent vor.
Die letzte Etappe führte uns über die Similaun-Hütte, den höchsten Punkt der Tour und den Übertritt nach Italien. Voller Stolz wanderten wir unsere letzten zwei Stunden Meran entgegen. Getragen von einer großen Sympathiewelle, welche uns aus der Heimat erreichte – viele Freunde und Eltern fieberten täglich anhand von Bildern und Texten in einem täglichen Blog auf unserer Schulhomepage mit – erreichten wir den Vernagter Stausee.
In Meran angekommen war von Müdigkeit oder Pause keine Spur. Ein paar Jungs frönten ihrem Hobby dem alltäglichen Workouts mit bis zu 500 Liegestützen am Pool und der Rest gönnte sich eine kalte Erfrischung in demselbigen.
Bei Pizza und wohlig warmen Temperaturen feierten wir die Überquerung und wagten uns sogar noch auf eine kleine Stadtbesichtigung nach Meran vor. Am Sonntagmorgen ging es dann per Bus und Bahn wieder nachhause.
Wir Lehrkräfte sind auch im Nachgang sehr stolz auf unsere Gruppe. Dies betrifft nicht nur die körperliche Leistung, sondern an vielen Stellen hatte sich ein Teamcharakter herausgebildet, der seinesgleichen sucht. Man musste nicht nach der helfenden Hand fragen, sie war einfach da. Wir hoffen, dass viele dieser Schülerinnen und Schüler die Schönheit, das Besondere, aber auch die Zerbrechlichkeit der Bergwelt in sich aufgenommen haben.
In Vorfreude auf die nächsten Alpenüberquerung
Thomas Platzöder, Tobi Reinauer, Elisabeth Schneider