von Clemens Hoff
Wer kennt schon ein „Schmalreh“ oder das „grüne Abitur“, wer hat schon mal „Geblattert“ oder hat beim „Aufbrechen“ geholfen?
Im Zuge unseres P-Seminares „Nachhaltige Waldnutzung“ ermöglichte uns Michael Bug (Forstamtmann, Revierleiter und Bildungsbeauftragter am AELF Bamberg), der uns während des gesamten Seminars im Wald betreut, erste Eindrücke in das Handwerk des Jagens gewinnen. Schon im Vorfeld bekamen wir eine erste Einführung in das – auch in unserem Seminar – so kontrovers diskutierte Thema Jagd: Das Fehlen von natürlichen Fressfeinden für viele größere Wildtiere ist der Grund, warum in einem Forstbetrieb gejagt werden muss. Wolf und Luchs wurden durch den Menschen in Deutschland ausgerottet bzw. stark zurückgedrängt und ohne diese Fressfeinde können sich manche Wildtiere stark vermehren. Eine natürliche, aber nötige Verjüngung des Waldes wäre durch den Verbiss durch Rehe nicht mehr möglich, was Förster und privaten Waldbesitzer zum Handeln zwingt. Außerdem liefert die Jagd nach wie vor ein – passend zu unserem Seminar – nachhaltig erzeigtes Lebensmittel, das Wildbret.
Daneben hat die Jagd sicher auch ihre ganz eigene Faszination, die sich nicht unbedingt nur auf das Töten des Wildes bezieht. Das lange Warten, das Anlocken und das Beobachten der Tiere, aber auch die Spannung, ob und wann der Schuss erfolgt, machen die Jagd, gerade auch für uns Neulinge, zu etwas ganz Besonderem.
Am Abend des 20.07.18 war es soweit, der mit Spannung erwartete Jagdausflug konnte für drei Schüler und unsere Seminarlehrerin Frau Bier beginnen. In Tarnfarben (kein blau – Rehe sind rot-grün-blind) gekleidet ging es von unserem Treffpunkt in Ebermannstadt zusammen mit Michael Bug zu dem von ihm und seiner Frau gepachteten Jagdrevier bei Leutzdorf. Dort bekamen wir einen kleinen Einblick in die Kenntnisse, die man erworben haben muss, um die Prüfung für den Jagdschein (auch grünes Abitur genannt) zu bestehen. Für Michael war der Jagdschein ein Teil des Studiums (Forstwirtschaft), wobei ein Förster nicht unbedingt Jäger sein muss. Umgekehrt muss man aber auch kein Förster sein, um den Jagdschein zu machen, das kann laut dem Jagdausbildungszentrum Bayern jeder, der „zuverlässig und persönlich geeignet“ sowie mindestens 16 Jahre alt ist. Neben den strengen Gesetzen für Waffenbesitz und -gebrauch in Deutschland erklärte uns Michael auch die Wahl der richtigen Waffe. Mit dem „typischen Jagdgewehr“, also einer Langwaffe und Munition für Rehe, würde man einen Hasen förmlich zerreißen, umgekehrt braucht man aus 30 Metern nicht mit Schrot auf ein Wildschwein schießen. Um den diesjährigen Abschussplan zu verfolgen, sollte an diesem Abend speziell auf Rehwild Jagd gemacht werden. Während die Geißen mit ihren Kitzen (also erwachsene weibliche Tiere mit ihren Jungtieren) noch bis September Schonzeit haben, können im Juli die Böcke (männliche Rehe) und Schmalrehe (nicht geschlechtsreife weibliche Rehe) geschossen werden.
Gegen halb acht, als die Sonne langsam unterging, trafen die beiden anderen Jäger ein: Stefanie Blumers (Michaels Frau und ebenfalls Försterin) und Ben Göbel (Forstamtmann und Revierleiter am AELF Bamberg). Wir wurden in drei Gruppen aufgeteilt, so dass jeder Schüler mit einem Jäger unterwegs war. Ich war mit Ben unterwegs, der ein Stück entfernt vom Jägersteig parkte, von wo wir dann leise weiter schlichen. Dort angekommen, hielten wir konzentriert Ausschau und konnten tatsächlich mehrmals eine Bewegung oder ein Rascheln wahrnehmen, leider immer nur Hasen. Ein Reh, das kurz am Waldrand auftauchte, konnte Ben durch das Zielfernrohr seines Gewehrs nicht ansprechen, das heißt, er konnte nicht sicher entscheiden, ob es ein Bock oder eine Geiß war. Um die Tiere in Schussweite zu bringen, können sie mit Futter, z.B. Apfeltrester, angelockt werden. Oder man pfeift mit einem Blatter (ein Grashalm tut es zur Not auch) und ahmt damit, je nach Tonhöhe, ein Kitz oder eine Geiß nach. Auf das Geiß-Blattern reagierte das Reh nicht, weshalb Ben auf ein weibliches Reh, möglicherweise mit Kitzen, tippte. Also warteten wir erstmal weiter und beobachteten einfach nur.
Nachdem es schon ziemlich finster und damit unsere Sicht schlechter geworden war, stiegen wir vom Jägerstand hinunter, um zurück zum Auto zu laufen. Plötzlich liefen direkt vor uns zwei Rehe übers Feld. Ben zögerte nicht lange, lud sein Gewehr und machte sich in geduckter Haltung in die Richtung der zwei Rehe auf. Ich setzte mir noch schnell die Ohrenschützer auf (der Schussknall verursacht dauerhafte Gehörschäden) und folgte ihm mit etwas Abstand. Bevor ein Schuss fällt, muss sicher entschieden sein, dass das Tier geschossen werden darf (Schonzeit?), aber auch, ob aus der aktuellen Position überhaupt geschossen werden kann. Damit das Tier sofort stirbt und eine Nachsuche des angeschossenen Tieres vermieden wird, sollte das Ziel des Schusses knapp hinter dem Blatt (Schulter) des Rehes sein, wo sich Herz und Lunge befinden. Ich selbst konnte kaum etwas erkennen, doch plötzlich durchzog ein ohrenbetäubender Knall die Luft und mir war klar, dass Ben auf eines der Rehe geschossen haben musste.
Als ich zu der Stelle kam, kniete Ben bereits vor dem von ihm getroffenen Schmalreh. Das Reh war trotz des leicht schrägen Schusses sofort tot umgefallen, in den Worten von Ben: „Es hat den Knall nicht mehr gehört!“ – zum Glück! Das geschossene Reh wird normalerweise an Ort und Stelle aufgebrochen (ausgeweidet), was Ben gekonnt übernahm. Inzwischen hatten auch die anderen ihren Ansitz beendet und waren unserem Schuss gefolgt. Nachdem alle Innereien herausgeholt waren, nahmen wir das Reh in einer Wildwanne mit und brachten es zur sogenannten Wildkammer nach Ebermannstadt. Sobald das Reh tot umfällt ist es ein Nahrungsmittel und muss dementsprechend behandelt werden. In einem Kühlraum wird es abgehangen und später von einem Metzger küchenfertig zerteilt und als Wildbret verkauft.
So endete der für uns drei Schüler sehr spannende Ausflug bei dem wir uns ein ganz neues Bild von der Jagd machen konnten. Die Jagd ist nicht nur ein sinnfreies, quälendes Töten von Tieren durch mit der Waffe in der Hand mächtig fühlende JägerInnen, sondern wie uns Michael Bug von Beginn an klar machte, ein Handwerk, das nach rechtlichen Bestimmungen und waidgerecht abzulaufen hat, also ohne grausame Jagdmethoden und sinnloses Quälen der Tiere. Ich persönlich esse lieber ein Wildtier, das in freier Natur gelebt hat und erst mit einem bestimmten Alter waidgerecht geschossen wurde, als ein Masttier, das zusammengepfercht auf Gittern stehen muss und Antibiotika ins Futter gemischt bekommen hat.
Clemens Hoff